Wie begegnen Religionsgemeinschaften dem Klimaschutz?

Weshalb sind Religionsgemeinschaften für den Klimaschutz relevant? Weil die Reichweite von Religionsgemeinschaften enorm ist: weltweit sind Milliarden von Menschen Teil einer Religion. Genauer gesagt sind es 84% der Weltbevölkerung. Forschende sprechen Religionsgemeinschaften aufgrund ihrer Reichweite daher ein grosses Potential im Klimaschutz zu. 

Insbesondere haben Religionsgemeinschaften das Potential, moralische Werte und Weltanschauungen von Mitgliedern zu beeinflussen. Beispielsweise werden religiöse Schriften mit Blick auf Umweltthemen neu interpretiert – kennst du beispielsweise die Begriffe «Öko-Jihad» oder «Grüner Islam»? Auch kann der Klimaschutz im Gottesdienst und anderen religiösen Veranstaltungen thematisiert werden, so dass Gläubige etwa ihren Glauben zunehmend mit Umweltthemen verbinden. Dies kann dazu führen, dass Mitglieder ihre Einstellung zur Umwelt überdenken und sich künftig klimabewusster verhalten. Religiöser Glaube kann aber auch einfach Hoffnung geben in Zeiten der Unsicherheit. So kann er Menschen helfen, mit einer unsicheren Zukunft angesichts des Klimawandels umzugehen.

Religionsgemeinschaften haben zudem oft finanzielle und räumliche Ressourcen, die sie für den Klimaschutz einsetzen können. So werden beispielsweise Solarpanels installiert und klimafreundlichere Heizungen in religiösen Gebäuden eingebaut – hast du vielleicht schon einmal vom Umweltzertifikat «grüner Güggel/grüner Hahn» gehört? Oder Mitglieder werden zu Fahrradfahren, Recycling und umweltbewussterem Konsum animiert. Die sozialen Bindungen, die in Religionsgemeinschaften entstehen, können zudem dazu führen, dass Mitglieder sich gegenseitig in ihrem Umweltverhalten bestärken.

Religionsgemeinschaften können sich auch politisch für den Klimaschutz engagieren. So können sie in der Öffentlichkeit zum Klimaschutz aufrufen, etwa über soziale Medien, Newsletter oder auch Banner an Kirchtürmen und Postern an religiösen Gebäuden. Auch können sie sich an Protestaktionen beteiligen oder ihre Mitglieder dazu animieren, an Klimaprotesten mitzumachen. Wenn Religionsgemeinschaften politischen Entscheidungsträger*innen nahestehen, können sie versuchen, mit diesen Entscheidungsträger*innen über Umweltthemen zu sprechen, um damit möglicherweise politische Programme zu beeinflussen. Oder sie können sich selbst in politischen Prozessen engagieren – ist dir beispielsweise die Konzernverantwortungsinitiative ein Begriff, die von Kirchen in der Schweiz unterstützt wurde? 

Aber: Es ist nicht so einfach! Denn Religionsgemeinschaften sind nicht homogen. Die Forschung zeigt, dass nicht nur religiöse Glaubenssätze und Verhaltensregeln das Engagement von Religionsgemeinschaften für den Klimaschutz beeinflussen. Auch politische Entwicklungen, finanzielle Mittel, akute Alltagssorgen der Mitglieder und vieles mehr spielen eine Rolle. So verstehen viele Religionsgemeinschaften den Klimaschutz nicht als ihre erste Priorität, da sie auch mit vielen anderen Themen beschäftigt sind, nicht zuletzt mit dem spirituellen Wohl der Mitglieder. Auch legen viele christliche Kirchen den Hauptfokus auf soziale Ungerechtigkeit. Andere Gemeinschaften mögen den Klimaschutz kritisch sehen oder sogar umweltschädliches Verhalten fördern, etwa indem sie ihre Mitglieder mit ihrer religiösen Botschaft zu starkem Konsumverhalten auffordern – hast Du etwa schon mal vom «Prosperity Gospel» gehört?

Forschung darüber, wie Religionsgemeinschaften dem Klimaschutz begegnen, ist daher komplex. Denn Religionsgemeinschaften sind vielschichtig und werden von geografischen, kulturellen und politischen Aspekten beeinflusst. Um die Rolle religiöser Akteur:innen im Kontext ökologischer Transformationsprozesse zu verstehen, sind differenzierte Analysen notwendig. Hier setzt die Religionswissenschaft an: Sie untersucht nicht nur religiöse Lehren, sondern auch Praktiken und soziale Strukturen von Glaubensgemeinschaften. Dadurch kann sie aufzeigen, wie religiöse Überzeugungen, Rituale und Gemeinschaftsformen klimarelevantes Verhalten prägen oder verändern können. Religionswissenschaftler:innen leisten somit einen relevanten Beitrag zur interdisziplinären Klimaforschung und helfen, religiös motiviertes Engagement besser zu verstehen und kritisch einzuordnen.

Nadine Brühwiler, Jens Köhrsen, Maja Kofod Jensen, Anastas Odermatt

 

Wenn du neugierig bist und mehr über Religion und Klima- bzw. Umweltschutz erfahren möchtest, empfehlen wir dir folgende Literatur zum Einstieg in das Thema:

Köhrsen, Jens. 2024. Klimawandel und Religion in lokalen und nationalen Kontexten. In Liedhegener, Antonius & Jens Köhrsen (Hrsg.), Religion – Wirtschaft – Politik. Wege Zur Transdisziplinären Forschung (S. 227–252). Baden-Baden: Nomos. https://www.nomos-elibrary.de/10.5771/9783748916154-227.pdf

Huber, Fabian & Jens Köhrsen. 2021. Religion und ökologische Nachhaltigkeit: Zwischen grünen Glaubensgemeinschaften und Ökospiritualität. In Henkel, Anna, Björn Wendt, Thomas Barth, Katharina Block, Stefan Böschen, Sascha Dickel, Benjamin Görgen, Matthias Gross, Jens Köhrsen, Thomas Pfister, Simone Rödder & Matthias Schlossberger (Hrsg.), Soziologie der Nachhaltigkeit (S. 337-352). Bielefeld: transcript. https://www.transcript-verlag.de/978-3-8376-5199-7/soziologie-der-nachhaltigkeit/

Becci, Irene. 2024. Les Éco-Spiritualités Contemporaines: Un Changement Culturel En Suisse. Zürich und Genf: Editions Seismo. https://library.oapen.org/handle/20.500.12657/92945 

Brühwiler, Nadine & Jens Köhrsen. 2022. Taylor, Bron (2010): Dark Green Religion: Nature Spirituality and the Planetary Future. In Rödder, Simone & Ibrahim, Youssef (Hrsg.), Schlüsselwerke der sozialwissenschaftlichen Klimaforschung (S. 203-208). Bielefeld: transcript. https://www.jstor.org/stable/j.ctv371c317.37?seq=1