Was machen Atheist:innen auf dem Pilgerweg?

Der Komiker Hape Kerkeling machte sich im Jahr 2001 auf den Weg nach Santiago de Compostela – auf einen der berühmtesten und über 1000 Jahre alten Pilgerwege Europas. Seine Erfahrungen schilderte er später im Bestseller Ich bin dann mal weg

Während bis vor etwa hundert Jahren vor allem gläubige Katholik:innen nach Santiago pilgerten, sieht das heute ganz anders aus. Menschen machen sich aus ganz unterschiedlichen Gründen auf den Jakobsweg – nicht nur aus religiösem Antrieb. Auch Kerkeling zog es nicht aus streng religiösen Motiven auf den Weg. Er beschreibt sich als „eine Art Buddhist mit christlichem Überbau“ – sein Antrieb war das Bedürfnis nach einer Auszeit vom stressigen Berufsleben. Damit steht er exemplarisch für viele heutige Pilger:innen: katholische und reformierte Christ:innen, spirituell Suchende, Menschen in persönlichen Krisen – und eben auch Atheist:innen.

Pilgern bedeutet heute für viele Menschen etwas anderes als noch im Mittelalter. Im Zentrum steht nicht mehr allein das Ziel, sondern der Weg selbst: das Unterwegssein, die Selbstfindung, die Ruhe, die Begegnungen mit sich und anderen – oder auch die Hoffnung auf Veränderung. Das Pilgern hat sich gewandelt – genauso wie Religion und Spiritualität in Europa.

Die Religionswissenschaft beschäftigt sich mit solchen Veränderungen: durch Gespräche mit Pilger:innen, durch die Analyse von Filmen, Büchern und historischen Quellen – oder sogar durch teilnehmende Beobachtung auf einem Pilgerweg. Dabei geht es nicht nur um klassische Glaubensformen, sondern auch um neue, individuelle oder ungewöhnliche Ausdrucksweisen von Religion. Denn Religion ist heute nicht immer auf den ersten Blick erkennbar. Sie zeigt sich manchmal als stille Spiritualität, manchmal als Rückzug aus gesellschaftlichen Zwängen – und gelegentlich auch in radikalisierter Form. Dazwischen gibt es eine Vielzahl alltäglicher und persönlicher Weisen, Göttliches, Übersinnliches oder Sakrales im eigenen Leben zu entdecken.

Menschen haben also nicht aufgehört, Sinn zu suchen oder etwas zu verehren – doch die Formen, in denen sie das tun, haben sich verändert. Genau deshalb begegnen uns heute auch Atheist:innen auf dem Pilgerweg.

David Atwood

 

Wenn du neugierig bist und mehr über den Wandel des Phänomens Pilgern erfahren möchtest, empfehlen wir dir folgende Literatur zum Einstieg in das Thema:

Hervieu-Léger, Danièle. 2004. Pilger und Konvertiten. Religion in Bewegung. Würzburg.

Schwaderer, Isabella. 2019. Pilgern – eine religionswissenschaftliche Einordnung eines zeitgenössischen Phänomens. Theologie der Gegenwart 62 (2): 95-106.

Knoblauch, Hubert & Andreas Graff. 2009. Populäre Spiritualität oder: Wo ist Hape Kerkeling? In Bertelsmann Stiftung (Hrsg.), Woran glaubt die Welt? Analysen und Kommentare zum Religionsmonitor 2008 (S. 725–746). Gütersloh: Berthelsmann.